„Wer mitreden will, muss sprechen können.“ Demokratie- und Werteerziehung im Deutschunterricht
Vortrag beim Thementag der Deutschdidaktiker_innen in Sachsen am 4. März 2020 an der Universität Leipzig
04.03.2020
Abstract
Schulische Werteerziehung gleicht einer dilemmatischen Gratwanderung: Sie muss dem Einzelnen helfen, eigenständig seinen Weg zu finden, ohne ihn alleinzulassen. Unbeschadet aller interdisziplinären Vernetzung kommt dabei dem Fach Deutsch eine besondere Bedeutung zu. Denn ebenso wie bei den weltanschaulich oder positionell gebundenen Fächern wie Religionslehre oder Ethik ist unstrittig, dass die Bildungsprozesse, mit denen das Fach Deutsch verbunden ist, für das Miteinander in unserer Gesellschaft essentiell sind: Bildungs- und Integrationsprozesse erfolgen in erster Linie über Sprache, weitergehende affektive Bindungen werden über Bilder und Narrationen, über literarische Texte und zunehmend digitale Medien vermittelt.
Ausdrucks- und Differenzierungsvermögen sind die Grundlage für Wertbildungsprozesse und Identitätsentwicklung. Doch es ist keineswegs ausreichend, eine eigene Meinung zu haben. Wichtig ist die Fähigkeit, diese zu begründen und zu verteidigen und die Argumente anderer abwägen zu können. Ein besonders relevanter Bereich hierfür ist das Thema Demokratieerziehung: Eine positive Einstellung zur Demokratie kann nicht nur über Wissen erzeugt werden, sondern bedarf affektiver Bindungen. Im schulischen Unterricht kann dies durch die performative Gestaltung einer demokratischen Unterrichtskultur realisiert werden, die diskursive Entscheidungsfindungsprozesse ermöglicht. So betrachtet kann der Deutschunterricht als Mittel der Werteerziehung gelten: Beispielsweise dient die Förderung von Sprachbewusstheit und Argumentationsfähigkeit dazu, kritisches Denken im Umgang mit Sprache und Meinungsbildung zu schulen. Und im Bereich des Literaturunterrichts sind Textinterpretationen notwendig individuell und plural zugleich. Die Aushandlung von Bedeutungen hat das Ziel, sich über gemeinsame Verstehensprozesse zu verständigen. Literatur hat dabei identitätsbildendes Potenzial und ist weitaus mehr als ein Medium zur Steigerung der Lesefertigkeit. Inhaltsbezogen können nämlich ästhetische und ethische Fragen verhandelt werden, die Aspekte aus dem engeren Bereich der Demokratieerziehung thematisieren. Dadurch wird die Entwicklung von Wertereflexionskompetenz als eine Art von individuellem Kompass im Sinne ethischer Urteilsfähigkeit initiiert.